Imperien errichten, Städtebau oder einfach nur das Verkehrsproblem lösen - Citybuilder unter Linux

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Keine Arbeitsplätze, ein geringes Maß an Unterhaltungsangeboten und, wenn wir ehrlich sind, der örtliche Marktplatz war auch schon mal in einem besseren Zustand. Diese nervige Ampelschaltung und der ewige STAU im morgendlichen Berufsverkehr. In mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, so ziemlich jedem Dorf, jeder Stadt und jedem Ballungsgebiet herrschen ähnliche Probleme.

Oh, was würde man alles ändern, hätte man selbst statt der freundlichen Anzugträger im Rathaus mal das Steuer in der Hand. Doch um eine demokratische Wahl zu gewinnen bedarf es guter Argumente, eines unschlagbaren Wahlslogans und viel Vorbereitung.

Etwas weniger kompliziert gestaltet sich das Thema am heimischen PC unter Zuhilfenahme von sogenannten Städtebau-Simulationen. Viele bekannte kommerzielle Varianten dieses Thema gibt es schon seit vielen vielen Jahren. Das bekannteste unter ihnen ist natürlich SimCity von Sid Meier, dass schon im frühen Spielejahr 1989 auf den Markt kam. In vielen Nachfolgern und Ablegern wurde dieses Genre ausgibig erweitert und die immer größer werdenden Rechenleistungen für ausgefeiltere Simulationstiefen genutzt.

Aber nicht nur im kommerziellen Bereich hat Linux zum Thema Städtebau-Simulation etwas zu bieten. Die Open Source-Gemeinde hat im Laufe der Jahre einige Schätze dazugewonnen (z.B. Micropolis, eine freigebene Fassung des Klassikers Simcity). Aber auch die Community selbst hat einige Perlen quelloffener Spiele-Freude in diesem Bereich geschaffen.

Heute wollen wir euch einmal einen Überblick über die interessantesten Titel im kommerziellen aber auch im freien Simulationsbereich geben. Und euch damit zeigen, dass das Angebot und die Bandbreite an interessanten Titeln dank offener Software unter Linux eigentlich sogar noch größer ist als was der kommerzielle Markt durch die Beschränkung auf das kommerziell Nutzbare im allgemeinen hergibt.

Simulierbare Klassiker

Dank den umfassenden Fähigkeiten von DosBox und Wine können einige der Klassiker des Genres schlechthin auch unter Linux gespielt werden. Wer sich vor dreistelligen Auflösungen nicht scheut und keine Pixelallergie hat, der holt sich das eher neuzeitlich ausgerichtete Sim City auf den heimischen Computer. Aus einer 2D-Vogelperspektive und vergleichbar geringen Bedürfnissen schafft man hier eine blühende Siedlung aus dem nichts und schaut den Einwohnerzahlen beim Wachsen zu. Schon etwas komplexer, immerhin gab es nun verschiedene Höhenlevel, Wasserversorgung und eine isometrische Seitenansicht, kam der Nachfolger Sim City 2000 daher. Nach unserem Kenntnisstand laufen sowohl die DOS wie auch die Windows-Versionen beider Titel via DosBox bzw. Wine unter Linux.
Wer es etwas weniger elektrisierend aber dafür ordentlich klassisch mag, der greift stattdessen zum Klassiker von 1992, Caesar oder zu dessen Nachfolger Caesar II. Die mit Autos verstopften Betonpfade der Neuzeit weichen hier den mit Kopfsteinpflaster ausgestatteten Alpträumen eines jeden Holzkarrens. Auch sonst erblüht nach kurzer Einspielphase alles etwas römischer als das es unter Sim City je der Fall wäre. Rauchende Schlote haben allenfalls die Schmieden und Wohnhäuser, die meisten Handwerker siedeln sich aber an ohne das man sich anschließend Sorgen um die Stromversorgung machen müsste.
Natürlich existieren dank der vergangenen Jahrzehnte an Spielehistorie noch viele weitere Titel des Genres die sich mittlerweile in nahezu nativer Qualität dank Wine und DosBox unter Linux spielen lassen. Da es primär nicht darum geht, schließen wir diese Liste jedoch an dieser Stelle bereits wieder und widmen uns nativen Titeln die ohne Hilfsmittel unter Linux spielbar sind.

Schöne Moderne

Betonstraßen, Schienen, Hochhäuser und riesige Industrieanlagen, Microtown vereinigt einige der Merkmale der menschlichen Hochkultur in den Großstädten auf der ganzen Welt. Ohne sie wären Millionenstädte nicht vorstellbar.
Mit Micropolis zeigt der nach heutigen Maßstäben minimalistisch wirkende und im Jahr 2008 freigegebene Quellcode des Spiels Sim City was er als native Anwendung unter Linux anrichten kann. Während Grafiken und Töne seiner Zeit nicht freigegeben wurden, brachte Don Hopkins den Klassiker mit Ersatz dafür im Zuge des "One Laptop per Child"-Projekts nach Linux, wo es zur Unterhaltung dienen sollte.
Auch der Nachfolger der mitunter bekanntestes Städtebausimulation, SimCity 2000 erhielt mit OpenSC2K den Versuch einer Portierung auf die Linuxplattform. Es ist in dem Javascript-Framework Phaser 3 geschrieben und schon gut fortgeschritten. Es enthielt die Assets des Original-Spiels, in der Hoffnung, dass es EA bei dem über 20 Jahre altem Titel nicht weiter stört. EA hat allerdings im Juli 2018 per DMCA das Projekt sperren lassen, da SimCity 2000 weiterhin kommerziell vertrieben wird.
Vor seinem viel zu frühen Konkurs der Firma Loki im Jahre 2001 schaffte es SimCity 3000 Unlimited auch nativ unter Linux spielbar zu werden. Zwischen dem Jahr 2020 und 2001 liegt allerdings eine breite Zeitspanne. Ob die damals auf CD vertriebene Linuxversion des Spiels auch unter aktuellen Distributionen noch installier- und spielbar ist, lässt sich für uns aktuell nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Wünschenswert wäre es allemal.
Weitaus weniger kompliziert gestaltet sich die Situation rund um die Installation bei den Spielen Tropico 5 und Tropico 6. Mit nativer Linuxunterstützung reicht der Kauf der Titel aus um in den Genuss der tropischen Städtebausimulationen zu gelangen. Seid jedoch gewarnt, statt eines virtuelles Bürgermeisteramtes übernimmt der Spieler hier gleich die Geschicke eines ganzen Inselstaates, inklusive Wahlen und Aufständen. Auch läuft der Aufbau von Wohn- Gewerbe- und Industriegebieten in diesen Spielen etwas anders ab als man es von Micropolis oder Sim City 3000 Unlimited gewöhnt sein mag.
Weniger tropisch, dafür aber von sich behauptend jedes einzelne Individuum im Spiel einzeln zu simulieren kommt CityBound daher. Es ist eine quelloffene (unter der AGPL3-Lizenz) Städtebau-Simulation mit hohem Anspruch. Alle Bewohner der Stadt, mit ihrer eigenen Agenda und Leben, werden simuliert und erzeugen so eine lebende und sich entwickelnde Stadt.
Sind die grafischen Ansprüche nicht alzu hoch, kann man sich ggf. auch mit dem recht umfangreichen TheoTown anfreunden. TheoTown ist ein Städtebausimulator und kommt im grafischen und spielerischen Stil eines Simutrans eher grobpixelig daher. Es handelt sich hierbei um einen recht fortgeschrittenen kommerziellen Titel, der seine Anfänge auf dem Smartphone hatte.
Grafisch TheoTown nachempfunden, jedoch noch nicht ganz so weit entwickelt, zeigt sich das Open Source Spielchen Cytopia mit dem gleichen Ziel eine vollumfängliche aber grafisch minimalistische Pixel-Städtebausimulation zu sein.
Etwas abseits des Mainstream platziert sich LinCityNG, der Nachfolger von LinCity. Die grobe Orientierung an Spielen wie Sim City ist offensichtlich, trotzdem ist LinCityNG ganz anders, was der Spieler schnell erkennen wird.
Ein Titel darf natürlich in dieser unserer Auflistung auf keinen Fall fehlen. Das kommerziell sehr erfolgreiche Cities Skylines beglückt Hobbybürgermeister unter Linux bereits seit 2015 mit nativer Unterstützung und haufenweise Modifikationen sowie DLCs und strapaziert auch 2020 aktuelle Hardware wenn Städte eine gewisse Größe überschreiten oder der Anzahlt der installierten Modifikationen zu groß ist.
Ebenfalls nativ verfügbar und gewissermaßen der Vorgänger von Cities Skylines sind die beiden Transport-Simulatoren Cities In Motion, und Cities in Motion 2, in der man die Stadtentwicklung durch die geschickte Förderung und den Aufbau von Transportwesen für waren und Einwohner plant und umsetzt.

Vergangene Zeiten

Fernab stinkender Motoren und urbaner Architektur begibt sich der Spieler in den nun nachfolgenden Titeln auf eine digitale Zeitreise um in verschiedensten Epochen florierende Städte zu errichten. Wenn es nicht zu 100% wie das Original von damals sein muss, bieten sich die freien Engines Caesaria und Julius an um den weiter oben nicht aufgezählten Klassiker Caesar III zu spielen. Während Caesaria sogar als Early Access auf Steam vertreten ist, findet dort aber seit circa 2016 scheinbar keine Weiterentwicklung mehr statt. Julius hingegen befindet sich nach unseren Informationen in stetiger Weiterentwicklung. Aber auch der aktuellste Titel Caesar IV läuft mit einigem Geschick mit Proton und Wine ganz hervorragend.
Ein beinahe ganz anderes Konzept verfolgt die minimalistische "Dorfbausimulation" DotAge. Als Dorfältesten mit seherischen Fähigkeiten ist es Aufgabe des Spielers, die Entwicklung des eigenen Dorfes voranzutreiben. Runde für Runde entscheidet man über den Einsatz der Dorfbewohner, was produziert, erforscht und wo erbaut werden soll.
Deutlich wilder und auch westlicher, man möge das Wortspiel verzeihen, geht es in der WildWest-Städtebausimulation Depraved zu. Mit seinem Fokus auf die Zeitspanne von Cowboy und Indianer rutschte es in unserer Auflistung knapp aus der Kategorie "schöne Moderne" heraus. Die native Linux-Version kann auf Steam aber auch DRM-frei auf itch.io erworben werden.
Etwas fantasiebehaftet und vom grundlegenden Aufbau an die Caesar-Teile erinnernd reiht sich Hearthlands in diese Liste ein. Man gründet eine Siedlung, lässt die Bewohner Rohstoffe anbauen oder abtragen und verteidigt die Siedlung gegen Untote und Monster. Eine Städtebausimulation mit einem leichten Mittelalter-Fantasy-Touch.

Wer Wine nicht scheut, kann auch den historischen Stadtbausimulator Banished erfolgreich unter Linux ausprobieren. Zwar wurde die Linux-Version in Aussicht gestellt, jedoch hat der Entwickler diese Pläne später aufgegeben. Das Spiel läuft aber einwandfrei mit einer aktuellen Wine-Installation. In Banished baut man ein Dorf und die nötige Infrastruktur auf, um die Bevölkerung am Leben zu erhalten und durch den Winter zu bekommen.

Ferne Zukunft

Weiter hinaus in der Zeit, geht es mit Surviving Mars von Paradox Interactive. Dort gilt es eine "Stadt" auf dem Mars zu errichten. In der Marssiedlung geht es dann primär um die Grundbedürfnisse, Forschung und insbesondere auch um die mentale Gesundheit der neuen Marssiedler.

Ehrenvolle Erwähnungen

Einige Titel passten nicht so recht in unsere Auflistung zu Städtebausimulationen unter Linux weshalb wir uns bei Erstellung dieses Textes entschieden die zusätzliche Kategorie "Ehrenvolle Erwähnungen" mitaufzunehmen. Wir hoffen damit Genrefans einen Blick über den Tellerrand zu gewähren und unterstützenswerten Projekte etwas Rampenlicht zu verschaffen.

CursesCity ist so ein unterstützenswertes Projekt. Initial in 2010 entwickelt, bringt es das Spielprinzip eines frühen Sim City in das Linux-Terminal. Es beschreibt sich selbst als ein simples, Sim-City-ähnliches, in C++ geschriebenes, ncurses nutzendes Spiel auf ASCII-Basis. Definitiv etwas für echte Liebhaber des Genres. Und des Terminals.

In Rise to Ruins geht es eigentlich nicht darum primär eine Siedlung zu errichten und ihr beim Erblühen zuzusehen. Ernsthaft gespielt geht es viel eher darum besagte Siedlung aufzubauen und sie so lange wie möglich gegen den unausweichlichen Untergang zu beschützen. Den richtigen Spielmodus vorausgesetzt lässt sich zwar auch so etwas wie eine Städtebausimulation hineininterpretieren aber das ist, wie gesagt, nicht die primäre Intention des Entwicklers gewesen.

Widelands schlägt in eine ähnliche Kerbe, wenn auch nicht ganz so sehr an der Weltuntergangsstimmung orientiert. Man errichtet zwar eine Siedlung mit allerlei Industrien und Gebäuden, jedoch steht das Ausweiten von Ländereien und das Besiegen des ebenso agierenden Gegners im Vordergrund. Bis zu diesem Zeitpunkt kann man aber der Siedlung beim Florieren und den Bewohnern beim Wuseln zusehen. Fast so wie bei einer Städtebausimulation.

Auch das kommerziell vertriebene Microtown nähert sich eher dem Aufbaustrategieklassiker Die Siedler an als einer der vielen Städtebausimulationen. Da der Prozess des Aufbaus der Siedlung aber so schön städtisch daher kommt, schleicht sich auch dieser Titel in unsere ehrenvollen Erwähnungen.
Den meisten bereits bekannt lässt sich auch in der SciFi-Aufbaustrategie RimWorld ein Modus wählen, in dem man sich weitestgehend friedlich dem eigentlichen Ziel des Spiels ab- und ganz dem Aufbau einer Siedlung zuwenden kann. Allerdings wird man hier niemals die Einwohnerzahlen eines SimCity erreichen können. Es bleibt also höchstens bei einem kleinen aber feinen Dörfchen.

Songs of Syx bezeichnet sich selbst als einen Genremix aus Dwarf Fortress, Total War und Rimworld also nicht wirklich etwas das man primär als Städtebausimulation bezeichnen würde. Allerdings deuten sich auch hier Tendenzen zum Siedlungsbau an. Aktuell ist das Spiel noch kostenlos als Prototyp nativ für Linux erhältlich.
Im späteren Verlauf des an Anno-angelehnten Unknown Horizons geht es um die Vorherrschaft zuvor vom Gegner besidelter Ländereien doch bis es soweit ist beschäftigt man sich, relativ friedlich, mit dem Aufbau der eigenen Ländereien, inklusive einer stetig wachsenden Industrie- und Handelsgilde sowie steuerzahlenden Bewohnern.

Fazit

Unsere kurze Übersicht zeigt: Simulationsfreunde werden auch unter Linux ihren Spass finden, und speziell mit Städtebausimulatoren kann Linux ganz gut mithalten. Retor-Pluspunkte bringen natürlich die vielen Klassiker, die man unter Linux ebenso ohne Einschränkung - und manchmal sogar noch leichter als mit einem aktuellen Windows-System, nacherleben kann.

Es haben nicht alle Spiele auf unserer Liste in den Artikel geschafft. Auf diese wollen wir in einem zweiten Imperien-Beitrag genauer eingehen. Welche Titel fallen euch noch ein? Schreibt es uns in die Kommentare, verlinkt zu den Artikeln und falls es noch keinen gibt, traut euch ruhig ihn anzulegen!

Stöbert auch gerne mal durch unsere Sammlungen: OpenSource Städtebau und Kommerzielle Städtebau-Titel.

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kloß
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Man könnte noch eCity erwähnen. Das ist einmalig für 2 oder 3 Stunden ganz nett. Allerdings sind mir die mitgelieferten Szenarien zu leicht und zum freien Bauen war ich nach den Szenarien wenig motiviert. Man kann wohl auch eigene Szenarien erstellen und auf von anderen Spielern erstellte zugreifen, doch muss man sich dafür registrieren, wozu ich mal so gar keine Lust hatte.

Bei dotAGE bin ich mal gespannt, ob das erscheinen wird. Das letzte Mal als ich nach Informationen dazu gesucht habe, kam es mir vor, als sei der Schöpfer in eine Art Feature-Rausch verfallen. Dies muss noch rein und das auch noch und jenes nicht zu vergessen. Wenn das mal gut geht…

Ich warte ja noch auf Ostriv. :-)

Iggi
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Eine sehr schöne Zusammenfassung!

Ich persönlich wurde auch noch Transport Tycoon in die Liste aufnehmen - erst einmal, weil mich die Grafik immer extrem an SimCity 2000 erinnert, zum anderen auch, weil man durch seine Transportrouten die Städte ja durchaus auch verändert, auch wenn der Einfluss auf die Entwicklung der Städte ansonsten recht begrenzt ist.

Was ganz klar in der Liste noch fehlt ist Mobility: Das ist eine reinrassige Städtebausimulation - zwar auch mit Schwerpunkt auf Transportplanung (ÖPNV), aber eben auch mit Stadtentwicklung. Für alle, denen SimCity nicht realistisch genug ist ;-)

comrad
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Mobility hatten wir auch auf unserer Liste. Da es aber bei uns als eingestampft galt und schon einige Jahre auf dem Buckel hatte, haben wir es erst aussen vor gelassen. Wie sich aber herausstellte: man kann es noch kaufen, es läuft auch sogar noch (die Shareware), die Entwickler haben es eigenständig weiterentwickelt bis ca. 2010.

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