Uralte Hardware von circa 2010 trifft neues 2024er Tuxedo OS 3 mit Wayland - Ein Erfahrungsbericht

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Diejenigen unter euch die mich nicht nur hier lesen sondern auch in den sozialen Medien, sprich auf Mastodon, wissen, dass ich nicht nur für Linuxgaming ein Faible habe, sondern das mich, bis zu einem gewissen Punkt, alte Hardware, und was man damit noch anstellen kann, interessiert. Auch im sogenannten 'real life' hat sich dies herumgesprochen und so landen von Zeit zu Zeit ältere oder leicht defekte IT-Gerätschaften bei mir statt auf der Müllhalde, woraufhin ich mich freudig grunzend in meiner Freizeit damit auseinandersetze. Aber nicht nur bringt das Gebastel Spaß, es ist auch interessant zu sehen, wie viel man mit Linux aus einem für andere Betriebssysteme völlig veralteten Computer herausholen kann. Der Umweltschutzaspekt Geräte so lange wie möglich nutzen zu können ist natürlich neben dem monetärem nicht zu vernachlässigen.

Aus einer wilden Laune heraus landete bei meinem letzten Patienten versuchsweise die aktuellste Fassung des Tuxedo Computers-eigenen Ubuntu-Derivats Tuxedo OS auf der SSD. Wie sich das so darstellte, dazu nachfolgend mehr.

Ding Dong

Donnerstagnachmittag, es nieselt, die Luftfeuchtigkeit ist hoch, im TV läuft nur Mist und es klingelt. Eine mir nicht unbekannte Person strahlt mich, einen großen Karton in der Hand haltend, an, berichtet, dass sie den Keller ausgemistet und dabei allerlei älteren "PC-Krams" gefunden hätte und ob ich dafür noch Verwendung habe. Ich werfe einen kurzen Blick in den Karton, erblicke Tastatur, Maus und ATX-Desktop-Gehäuse und meine nur mit einem Lächeln "stell es in den Hausflur".
Nach einem kurzen Plausch und meiner Zusage, dass ich alle Daten auf den verbauten Speichermedien löschen werde*, bin ich nun stolzer Besitzer eines zusätzlichen Desktop-PC. Das Fehlen von USB3-Buchsen und das Vorhandensein von PS2-Anschlüssen lassen ein gewisses Alter bereits erahnen.

* Vertraut niemandem eure Speichermedien mit scharfen Daten an. Lernt lieber wie man eine Platte nullt, baut sie vorher aus und/oder zerstört sie mit dem Hammer aber gebt sie nicht einfach so aus der Hand!

Historisch betrachtet hochinteressant

Der Ersteindruck sollte sich bestätigen. Nach dem Öffnen des Gehäuses und dem Beseitigen einiger Staubmäuse stach mir als größtes Bauteil das Mainboard ins Auge. Ein P7Q57-M DO von Asus (Link zu Asus.com) ist, nach kurzer Recherche, nicht mehr wirklich als zeitgemäß zu betiteln. Im Supportbereich finden sich Treiber für maximal Windows 7 und das erste veröffentlichte Bios ist von 2009. Ziemlich eindeutig, circa 15 Jahre alt das gute Stück, darüber täuscht auch der einst recht üppig anmutende, mit 4x 2GB verbaute DDR3 Arbeitsspeicher von Samsung nicht hinweg.
Die verbaute Gainward Geforce GTX 560 Ti (allgemeiner Wikipedia-Link) mit lediglich 1Gb Speicher war einst im Jahre 2011 für ~200€ erhältlich. Nach etwas Rüttelei am 120mm CPU-Scythe-Lüfter unterstrich auch die CPU den Gesamteindruck des Systems. Unter der angestaubten Wärmeleitpaste kam ein i5 760 (Link), im Juli 2010 für ~200€ auf den Markt gekommen, mit 4 Kernen a 2,80 GHz zum Vorschein. Auf die verbaute HDD, mit unter einem Terabyte Kapazität, muss an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
Nach einer kompletten Grundreinigung, dem Verpassen neuer Wärmeleitpaste, dem Wiederzusammenbau und einem positiven Funktionstest stand die Frage im Raum: Was anstellen mit einem derart antiquierten, ansonsten aber gut laufenden System?

Y O L O

Die für mich gängigen Standardeinsatzzwecke für ältere Hardware, LibreElec bzw. Kodi (Link) als Medienstation, OpenMediaVault (Link) als Datengrab oder das Aufspielen einer für ältere Hardware geeigneten Distribution (Bunsenlabs Linux (Link), Alpine Linux (Link) oder Antix Linux (Link) um nur einige wenige zu nennen) haben mich in dem Moment allesamt nicht abgeholt. Sei es der Konstellation der Sterne oder der fortgeschrittenen Uhrzeit geschuldet, ich beschloss die neuste Version 3 von Tuxedo OS auf dem Senior, der extra zu diesem Zweck eine SATA-SSD spendiert bekam, zu installieren, inklusive KDE Plasma 6 unter Wayland.
"Wenn schon schlecht tanzen, dann mit Anlauf!" muss ich mir in dem Moment wohl gedacht haben.
Das eigentlich für die Auslieferung im Zusammenhang mit Hardware von Tuxedo Computers bestimmte Linux-Betriebssystem basiert grundlegend auf Ubuntu, unterscheidet sich im Detail an mancher Stelle aber davon (mehr Infos dazu hier und hier). Die aktuellste Version des Systems landete kurz darauf via frei verfügbaren Download auf meinem eigentlichen Computer (dieser hier), von dort auf meinem getreuen Multiboot-USB-Stick (diesem hier) und schon wenige Minuten später sah ich mich, nachdem ich im Bios das Gefuddel von wegen primäre Bootoptionen bereinigt hatte, mit ersten Optionen konfrontiert.

Mit dem Zweiten boot' es besser

Direkt im Bootmenü wurde bereits an Menschen wie mich gedacht. Neben der Startoption "Tuxedo OS 3 - Live Mode & Install" gibt es, direkt darunter, die Option "Tuxedo OS 3 - Fallback" mit der wichtigen Ergänzung "for Geforce 700 Series & older". Der Teil mit dem "& older", der ist für mich. Neugierig und renitent wie ich nun mal bin habe ich natürlich trotzdem versucht die erste Option zum Starten des Live Systems zu nutzen. Der Ausflug währte nur kurz, denn das Terminal begrüßte mich wenige Sekunden später mit der Hinweismeldung, dass eine NVIDIA GeForce 560 Ti GPU erkannt wurde, der eingesetzte Treiber in Version 550.90.07 dafür aber nicht gedacht sei und die Karte daher ignoriert wird. Ignoriert heißt praktisch so viel: War nix mit X ... bzw. Wayland. "hw_start failed". Upsi.
Ein STRG+ALT+ENTF später und mit dem richtigen gewählten Starteintrag erstrahlte dann aber doch das Live System mit Plasma-KDE-Desktop auf meinem Bildschirm in vollem Glanze. Da ich eher der Typ für was Festes bin, sollte dem Boot des Livesystems sogleich die Installation folgen. Ich klickerte mich gut vergnügt durch den zugehörigen Assistenten und sah alsbald einen Auswahldialog der, im ersten Moment, kein Auswahldialog war. "X11 - Der aktuelle Standard" sagte er mir. "Belassen Sie es bei unserer Standardauswahl, wenn Sie einfach Ihr System benutzen wollen.".
Einfach "das System benutzen" kann jeder, ich will die richtige Action. Neben einem On/Off Schalter von X11 und den obligatorischen Buttons "Zurück" und "Einrichten" gab es nämlich noch einen weiteren, signalroten Button zu betrachten. "Erweiterte Einstellungen (empfohlen für fortgeschrittene Benutzer)". Fortgeschritten, hm? Es folgte ein vor Selbstsicherheit nur so strotzender Klick. Nun traute sich auch die Wayland-Option aus dem Off hervor, wurde angeboten und einen weiteren Klick darauf, nämlich auf dessen On/Off Schalterchen, ging die Wahnsinnsfahrt auf alter Hardware weiter. Einige wenige Partitionierungseinstellungen später, ja, ja, mach die SSD leer, wird schon passen, hieß es: Tuxedo OS mit Wayland? Hier bin ich! Zeit für einen abschließenden Neustart.

Von Werkzeugen ...

Im installierten und von der SSD gestarteten neuen System angekommen sah alles soweit erstmal gut aus. Dafür, dass ich annahm irgendeine Komponente würde sich softwareseitig mit einem freundlichen "LOL, auf dem Knochen soll ich arbeiten? Tschüsseldorf!" verabschieden, gab es wenig bis nichts zu beanstanden. Tuxedo OS gönnte sich nach dem Systemstart 2 der 8 Gb Arbeitsspeicher, ein KDE-Plasma in Version 6.1.3 und ein Kernel in Version 6.5.0 warteten auf meine Eingaben, eine "NVCE" GPU (Codename u.a. für die 560 Ti) wurde erkannt und mit nouveau angesteuert ... alles tipptopp. Erwartungsgemäß, jedes Werkzeug nimmt nur die Aufgaben wahr für die es gedacht ist, zeigte das Tuxedo Control Center bei einigen Sensorwerten wegen der Nicht-Tuxedo-Hardware keine Werte aber das verbuche ich galant als absolute Nebensächlichkeit.

... und Wichteln

Schwerwiegender war da schon das Verhalten des Systems nach erneutem Neustart. Schwarzer Hintergrund, weiße Schrift, eine Hinweismeldung informierte mich darüber, dass die eingebaute Grafikkarte mit dem 550er Treiber von Nvidia nicht befahren werden darf. "Deja Vu" dachte ich mir, "das hatten wir doch eben erst" und habe das entsprechende Paket via Terminal gepurged. Nach einem weiteren Neustart hatte ich meinen Wayland-Desktop via nouveau wieder. Zu diesem Zeitpunkt etwas verwirrend aber ok, kann ja mal passieren. Dachte ich. Bis es dann nochmal passierte.
Als ich den zur Grafikkarte passenden Treiber mit "sudo apt install nvidia-driver-390" installieren wollte, durfte ich nämlich zwei Dinge feststellen.
Erstens, und da präsentiere ich euch die gekürzte Fassung, kann der aktuelle 6.5er Kernel nicht zusammen mit dem 390er Treiber betrieben werden. Grund: beide werden mit unterschiedlichen gcc Versionen (11 und 12) gebaut und das finden die blöd. Lösung? Einen 6.2er Kernel aus den Standardquellen installieren, 6.5er Kernel purgen, grub aktualisieren, dann sollte alles funktionieren.
Zweitens, in Tuxedo OS wohnt ein Kobold. Kennt ihr diese kleinen helfenden Wichtel aus Stardew Valley oder Harvest Moon (Wikipedia-Link)? So etwas hat Tuxedo OS auch, nennt sich "Tomte" (Was-ist-eigentlich-Tuxedo-Tomte-Link), nur, dass der sich darum kümmert, dass das System möglichst mit allem versorgt wird, was der normale Tuxedo-Kunde im regulären Betrieb benötigt. Diese Arbeit verrichtetet der kleine Helfer unscheinbar im Hintergrund. Jetzt ist Tuxedo Tomte in seiner Funktion als Heinzelmännchen aber nicht davon ausgegangen in freier Wildbahn auf einen Museumshardwarefetischisten wie mich zu treffen.

In seinem Bestreben mich mit dem neusten Kernel und den neusten Nvidia-Treibern zu beglücken, machte er meine manuellen Änderungen rückgängig, sodass ich nach dem nächsten Neustart wieder 6.5er Kernel und, in diesem Fall inkompatible, 550er Treiber hatte.

Nun ist es aber so, dass Tomte, im Gegensatz zu seinen Genrekollegen wie Pumuckl, durchaus in seinen Handlungen mit sich reden lässt. Mit einigen wenigen Terminalbefehlen ließ sich ihm mitteilen, dass er doch bitte keine automatischen Installationen im Bereich GPU und Kernel mehr durchführen soll. Im Nachgang sollte sich die rustikale Rechenmaschine schlussendlich mit den Nvidia-Treibern anfreunden können, um das volle Potenzial (!) der 560 Ti auszuschöpfen.

Ich hatte allerdings spontan fürs Erste eine ganz andere Idee.

Leicht frustriert über das Zusammenspiel von 6.5er Kernel und 390er Treiber fischte ich aus meinem Sammelsurium an Antiquitäten kurzerhand eine AMD Radeon HD 6870 (allgemeiner Wikipedia Link), ebenfalls von ~2010, und lies diese den Platz der 560 Ti einnehmen. Tuxedo OS verkraftete den Wechsel von NVIDIA auf AMD ohne Murren und startete wieder problemlos den via Wayland dargestellten KDE-Desktop.

But what about Gaming?

"Schön" sagt ihr, "jetzt hast du einen besseren Taschenrechner herumstehen mit dem du Minesweeper und Solitair spielen kannst, und weiter?".

"Au contraire" sage ich. Beim Testen der Spielfähigkeit des Systems war ich nämlich selbst überrascht. Ohne große Erwartungen habe ich einige freie und/oder Open Source 2D und 3D Spiele auf dem Hobel beheimatet, ahnend, ja sogar vermeintlich wissend, dass nicht alle spielbar sein werden.

KDEs Discovery war so freundlich mich bei der schnellen Installation zu unterstützen. Ins Blaue geklickt landeten so unter anderem Hedgewars, Mindustry, Minetest, OpenArena, OpenRA, Warzone 2100 aber auch SuperTuxKart, Red Eclipse oder Xonotic auf dem System und ... liefen. Die einzige Anwendung die sich weigerte zu starten war Veloren, alles andere war in Full-HD spielbar. Die in LÖVE gehandelte Anwendung Stone Kingdoms hat die Radeon ganz schön zum pusten gebracht aber auch die Darstellung dieses Titels gelang in spielbarer Qualität.
Doch machen wir uns nichts vor, weder die frisch aufgetragene Wärmeleitpaste von mir noch Tuxedo OS können Wunder vollbringen. Titel wie Spacebase Startopia oder 7 Days to Die brauche ich, selbst wenn ich Lust hätte Steam auf dem Gaming-Greis zu installieren, gar nicht erst testen. Eine spielbare Framerate dürfte sich, wenn überhaupt, nur mit maximaler Reduzierung der Spieldetails und/oder der Verringerung der Auflösung realisieren lassen. Auch mit einem Beyond all Reason ist die überalterte Hardware restlos überfordert. Ein aufgerundet beinahe 15 Jahre alter PC bleibt ein beinahe 15 Jahre alter PC, da helfen keine Pillen.

Hat da jemand Benchmark gesagt? Na gut. Die Unigine-Teile kann ich ja mal von alt-nach-neu in Standardeinstellungen laufen lassen.

  • Heaven (2009): FPS 32,9; Score: 828; Render: OpenGL; Mode: 1920x1080 Fullscreen; Preset: Custom; Quality: High; Tesselation: Disabled
  • Valley (2013): FPS 31,4; Score: 1314; Render: OpenGL; Mode: 1920x1080 Fullscreen; Preset: Custom; Quality: High;
  • Superposition (2017): FPS: 8,2: Score: 1095; Graphics API: OpenGL; Resolution: 1920x1080 Fullscreen; Shaders: Medium; Textures: Medium; DOF: enabled; Motion Blur: enabled
    • Das der überhaupt mit 1GB GPU-Speicher lief fasziniert mich ungemein.

Fazit

Mein Daily Driver wird der zerrüttete Zeitreisende, Überraschung, nicht mehr werden, dafür bin ich anderweitig zu gut ausgestattet. Dennoch, mir wurde mal wieder bewusst, und ich hoffe ich konnte das einigermaßen transportieren, wie "gut" alte PCs noch sind. Auch erinnere ich mich an eine Zeit, damals, als ich auf der Suche nach möglichst ressourcenschonenden Distributionen wie Xubuntu (xubuntu.org) (xfce) war oder ein Debian mit Enlightment (Link) betrieb, weil (damals) ältere (heute uralte!) Hardware spürbare Probleme mit den einst neuen Versionen von Gnome oder KDE hatten. Hatten, wohlgemerkt. Das neuste KDE Plasma läuft auf, man muss das nochmal hervorheben, dieser knapp 15 Jahre alten Hardware absolut zufriedenstellend. Für jemanden der traumatisiert ist von "Gnome 2 ist tot, lang lebe Gnome 3!", Junge hat das geruckelt auf dem P4, eine 100% positive Erfahrung.
Weiterhin konnte ich mir selbst eine Furcht nehmen. Meine Annahme war, dass mit Wayland der Todesstoß für alte Hardware kommt. Ich weiß auch nicht wieso, war nur so ein dummes Gefühl und das, Stand jetzt, ungerechtfertigterweise. Zeit für ein "Hurra!".
Anders sieht es mit der Hardware von NVIDIA aus. Das die alten Treiberpakete nicht mit neuerem Kernel kompatibel sind ... äußerst unschön. Alles was älter ist als die 700er Serie wird zukünftig wohl besonders intensiv mit nouveau kuscheln müssen.
Über Tuxedo OS konnte ich eine ganze Menge lernen und in Erfahrung bringen. Auch auf Nicht-Tuxedo-Hardware liefert es grundsätzlich eine gute Figur ab und funktioniert schlicht und ergreifend, kümmert sich, dank Tomte, sogar um 2-3 Frickeleien, welche ansonsten beim Anwender gelegen hätten. Klar, wenn so ein Spezialfall wie ich um die Ecke kommt, das stolpert Tomte schon mal kurz aber grundsätzlich eine schöne, die Dinge vereinfachende Sache.

Noch steht der alternde Apparat aufgebaut auf meinem Basteltisch. Wenn ihr Fragen habt oder irgendwas auf dem Ding getestet sehen wollt, hinterlasst einen Kommentar. Je nachdem wie aufwändig euer Wunsch ist, gehe ich gerne darauf ein.

Wer einfach nicht genug von diesen vielen aneinandergereihten Buchstaben bekommen kann, hier ist ein Interview von Holarse mit TUXEDO Computers über Tuxedo OS.
Falls euch weiterhin nicht die Augen aus dem Kopf fallen, dann konsumiert unseren Beitrag Gaming unter Wayland - Ein Erfahrungsbericht mit Tipps und Tricks.

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